Stellen Sie sich vor: Zwei Unternehmen geraten aufgrund eines plötzlichen und unerwarteten Ereignisses in dieselbe Krise. Das eine bricht aufgrund des Unerwarteten zusammen, das andere kommt gestärkt daraus hervor. Warum? Der Unterschied liegt in einer ausgeprägten Resilienz. In der gar nicht so fernen Vergangenheit hat Strategie, Planung und Kontrolle häufig ausgereicht, um ein Unternehmen auf Spur zu halten. Die heutige Realität zeigt: Unsicherheit nehmen dramatisch zu und sie lassen sich nicht eliminieren – nur meistern.
Im ersten Artikel unseres Themenschwerpunkts “Transformation” haben wir Ihnen unser 4M-IGLOU vorgestellt. Unser Ziel dabei war es, gemeinsam mehr Klarheit in den oft unscharf verwendeten Begriff “Transformation” zu bringen.
Dass wir neben den Megatrends tagtäglich durch eine zunehmende Anzahl unerwarteter Ereignisse beeinflusst werden, ist zur Realität geworden. Entscheidend ist hierfür, wie wir unser „IGLOU“ so gestalten, dass es den plötzlich auftretenden Stürmen standhält: Transformation ist der Schlüssel zum Überleben, und der Schlüssel zur Transformation wiederum ist die Stärkung der Resilienz.
Dafür müssen wir zunächst verstehen, was uns in unserer Umwelt zunehmend prägen wird. Manchmal reicht ein Schmetterlingsflügelschlag irgendwo auf dieser Welt, um dramatische Auswirkungen für uns alle zu haben. Die Corona-Krise, die noch nicht lange zurückliegt, hat uns das eindrücklich vor Augen geführt. Geopolitische, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen – egal wo, ob in China oder den USA – wirken manchmal wie Wellen weit über ihre Ursprungsländer hinaus. Die Herausforderung hierbei ist: Sie passieren unerwartet und zunehmend häufiger mit sehr weitreichenden Konsequenzen.
Abbildung 1: Mögliche Ausprägungen des "Schmetterlingsflügelschlags"
Wir alle kennen die bekannten Modelle VUCA1, PESTEL2, die „4 D’s der Transformation3“ oder Trendradare, die Mega-, Makro- und Mikrotrends unterscheiden.
Doch in Gesprächen mit unseren Klienten haben wir festgestellt: Gerade auf die wirklich entscheidenden Fragen gibt es bislang kaum Antworten und Modelle.
Und Resilienz entsteht erst, wenn Organisationen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie mit Dingen umgehen müssen, die sie heute noch nicht kennen. Dieses Verständnis muss in der gesamten Organisation tief verankert werden – in Strategie, Strukturen, in der Führung, in den Teams und bis auf der Mitarbeiterebene. Wenn wir uns entsprechend vorbereiten, werden wir unsere Leistungsfähigkeit – egal was geschieht – nicht nur schnell zurückgewinnen, sondern sogar ein Postbelastungswachstum entfalten können. So wie der Körper nach Trainingsreizen gestärkt hervorgeht, können auch Organisationen nach intensiven Belastungen über den Ausgangszustand hinauswachsen und ihre Leistungsfähigkeit steigern.
Bereits 2017 hat die Internationale Organisation für Normung (ISO) mit der
ISO 22316 „Security and resilience – Organizational resilience – Principles and attributes“ einen Orientierungsrahmen geschaffen, der Organisationen aller Größen und Branchen Leitlinien für den Aufbau von Resilienz bietet. Unternehmen lassen sich dabei als komplexe Systeme verstehen, die – ähnlich wie ein Regenwald – einem ständigen Wandel unterliegen. Zwar funktionieren sie in sich stabil, doch Eingriffe in einzelne Systemteile können unvorhersehbare und teilweise irreversible Auswirkungen auf andere Bereiche haben.
Um solchen Dynamiken zu begegnen, benennt die ISO neun verschiedene Faktoren zur Entwicklung organisationaler Resilienz.
Abbildung 2: Faktoren zur Entwicklung organisationaler Resilienz
In Zeiten großer Unsicherheit steigt nicht nur die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken, sondern auch ihre potenziellen Auswirkungen. Das bedeutet, dass Unternehmen und Führungskräfte neben der Stärkung der Resilienz auch lernen müssen, bewusster und häufiger Risiken einzugehen – auch wenn es dem einen leichter fällt als dem anderen. Hierfür muss ein modernes Risikomanagement als kontinuierlicher und integrativer Prozess etabliert werden, der klassische Methoden der Risikobewertung und (wie SWOT, FMEA, BCM) mit neuen Ansätzen zur Risikovermeidung (wie agile Steuerung, Cyber-Risikomanagement, Einsatz digitaler Werkzeuge) verbindet. Praxisbeispiele zeigen, dass Unternehmen, die Risiken systematisch managen und Unsicherheit als Chance begreifen, resilienter und erfolgreicher sind.
Abbildung 3: Risiken bewusst eingehen- Resilienz systematisch stärken
Auch wenn wir uns intensiv mit Unsicherheiten auseinandersetzen, werden wir Krisen nicht vermeiden können. Das gilt unabhängig von der Leistungsfähigkeit einer Organisation. Eine resiliente Organisation hilft uns aber mit ihren Folgen so umzugehen, dass die Organisation (1) weniger stark in ihrer Leistungsfähigkeit einbricht, sich (2) schneller erholt und im besten Fall sogar (3) stärker daraus hervorgeht (siehe Grafik). Resiliente Organisationen federn Leistungseinbrüche ab, stellen ihre Handlungsfähigkeit zügig wieder her und nutzen Krisen als Chance für Weiterentwicklung und nachhaltiges Wachstum.
Abbildung 4: Wachstum nach Schock
Transformation bedeutet für uns, eine resiliente Organisation zu entwickeln, die den wachsenden Unsicherheiten durch zahlreiche externe Einflussfaktoren bestmöglich standhält. Solche Organisationen zeichnen sich durch Führungskräfte und Mitarbeitende aus, die es gelernt haben mit dem Unbekanntem umzugehen. Sie haben klare Strategien entwickelt und Strukturen so gestaltet, dass schnelle Anpassungen möglich sind. Resilienz wird in solchen Organisationen nicht nur als reiner Schutzmechanismus verstanden, sondern als wesentliche Grundlage für ihre Weiterentwicklung.
Unser Ziel ist klar: Wir wollen Organisationen dabei unterstützen, ihr eigenes IGLOU zu bauen oder ihr bestehendes weiterzuentwickeln.
Begriffserklärungen:
1 VUCA: Ein Akronym aus dem Militärkontext, das die moderne, komplexe Umwelt beschreibt:
V – Volatility (Volatilität): Unbeständigkeit, schnelle Veränderungen.
U – Uncertainty (Unsicherheit): Unklarheit über Entwicklungen und Ergebnisse.
C – Complexity (Komplexität): Vielschichtigkeit durch zahlreiche Einflussfaktoren.
A – Ambiguity (Ambiguität): Mehrdeutigkeit von Informationen und Situationen.
2 PESTEL-Analyse: Ein strategisches Analysemodell, das externe Einflussfaktoren strukturiert betrachtet:
P – Political (Politische Faktoren, Regulierungen, Handelspolitik)
E – Economic (Wirtschaftliche Entwicklung, Zinsen, Inflation)
S – Social (Soziodemografische Faktoren, Wertewandel, Konsumverhalten)
T – Technological (Technologie, Digitalisierung, Innovationen)
E – Environmental (Umwelt, Nachhaltigkeit, Klimawandel)
L – Legal (Gesetze, rechtliche Rahmenbedingungen)
3 Die vier D’s der Transformation :Im aktuellen Transformationsdiskurs – speziell in Deutschland – beziehen sie sich auf die vier großen Megatrends:
1. Dekarbonisierung: Reduktion von CO₂-Emissionen, Klimaneutralität.
2. Digitalisierung: Technologien, Automatisierung, Daten.
3. Deglobalisierung: Rückverlagerung von Wertschöpfung, Resilienz lokaler Strukturen.
4. Demografie: Alterung der Gesellschaft, Fachkräftemangel, veränderte Arbeitsmärkte.